Jetzt sind wir mittlerweile schon fast am Ende der ersten vollen Woche des Jahres 2021 und wir müssen gerade feststellen, dass Corona unser Leben auch nach all diesen langen Monaten – vollgepackt mit Einschränkungen, Lockdowns, Testungen und mittlerweile auch Impfungen – weiter fest im Griff hat.
Trotz all der oben beschriebenen Maßnahmen.
Heute aber geht es einmal um eine Gruppe von Menschen, über die in all den Interviews und Lobpreisungen – auch der Politiker – noch nie gesprochen wurde.
Es sind die Menschen, die keiner wiedererkennen wird, weil nur ihre Stimmen bekannt sind.
Es sind all die Frauen und Männer, die unsere Bevölkerung am Telefon durch diese schwere Zeit begleiten.
Telefon Hotlines zu Corona Fragen – Lockdown Regeln, mögliche Grenzübertritte, etc. – sind für viele Menschen die einzige Möglichkeit ganz konkrete und korrekte Informationen zu erhalten (leider nehmen die Medien es nicht immer so genau damit).
Stimmen, die helfen und informieren, die aber auch eine ganze Menge einstecken müssen und ganz selten ein Lob erhalten.
Wir hatten das Glück, mit einer solchen tollen Stimme ein Interview führen zu können, um so einmal hinter die Kulissen schauen zu können. Unsere Journalistin Tanja spricht mit Frau E.
Tanja
Zunächst einmal Danke, dass wir Dir ein paar Fragen zu Deiner Arbeit und der Stimmung der ganz normalen Menschen in unserer Bevölkerung stellen dürfen.
Frau E.
Gerne. Meine Kollegen und ich sind einfach glücklich darüber, dass es auch jemanden gibt, der sich für unsere Arbeit interessiert. Sie ist nämlich interessant, mitunter fordernd, manchmal unerwartet, aber jedes Mal auch spannend und erfüllend, weil wir am Ende den Menschen Antworten geben und oft auch helfen können.
Tanja
Könnt Ihr eigentlich einen Unterschied in der Stimmung der Menschen feststellen? Genauer gesagt: Gibt es einen Unterschied zwischen der Stimmung im Frühjahr 2020 und jetzt Anfang 2021?
Frau E.
Oh ja, der Unterschied ist mitunter riesengroß.
Im Frühjahr 2020 – als wir von heute auf morgen – einen Lockdown hatten, haben viele Menschen einfach mitgemacht. Ungeachtet der Frage, ob die Maßnahmen die persönlichen Rechte eingeschränkt oder aufgehoben haben oder nicht.
Jeder war bemüht den Anweisungen zu folgen und sich gehorsam zu verhalten.
Alles war erschreckend, neu, ungewiss, man wusste noch nicht genug.
Als dann die Grenzen geschlossen wurden, kamen ganz neue Herausforderungen hinzu, denn niemand hat an all die Familien gedacht, die in unserem vereinten Europa vielleicht gerade einmal 20 km auseinander, aber in verschiedenen Ländern leben.
Da wir in einem grenznahen Bereich arbeiten, haben sich sehr viele Probleme offenbart, an die die Politik im fernen Berlin oder Wien nicht gedacht hat.
In Österreich z. B. war es Familienangehörigen für Wochen nicht möglich, sich grenzüberschreitend zu besuchen.
Besonders die Bewohner in Vorarlberg und Tirol, waren davon sehr betroffen.
Väter, die in Deutschland oder der Schweiz wohnen, konnten wegen der geschlossenen Grenzen und der starren gesetzlichen Vorschriften, ihre Kinder für Wochen nicht besuchen.
Das führte nicht nur bei den Vätern, sondern auch bei den Kindern zu sehr viel Verzweiflung.
Irgendwann wurden die Verwandtenbesuche ersten Grades dann in Österreich zu einer Ausnahme von der entsprechenden Lockdown-Beschränkung.
Das funktioniert aber immer auch nur so lange, wie das entsprechende Nachbarland diese Ausnahme auch akzeptiert und die Pflege familiärer, sozialer Kontakte auch zulässt, was leider nicht immer der Fall ist.
Ein Herr, der einmal genau zu diesem Thema anrief, meinte dann nur: „Was nützt uns Europa, wenn jedes Land seine eigenen Vorschriften erlässt und uns Familien einfach ‚abstraft‘, indem ich meine Familie, meine Kinder über Wochen und Monate nicht sehen darf?!“
Tanja
Das ist ja wirklich eine Problematik, über die wir „Inlandsbewohner“ sicherlich noch nicht nachgedacht haben. Für die betroffenen Menschen ist es aber sicherlich eine zusätzliche hohe Belastung.
Frau E.
Das auf jeden Fall. Aber noch einmal zurück zu den Unterschieden zwischen Frühjahr und Herbst: Im Frühjahr war der Großteil der Menschen noch geschockt, erschrocken, neugierig, vorsichtig und bemüht den Regeln zu folgen, voll Hoffnung, dass all das schnell vorbeigeht.
Aus diesem Grund nahmen die meisten die Einschränkungen und Quarantäne Maßnahmen auch einfach hin.
Mit den steigenden Zahlen im Spätsommer und Herbst, erneuten und weiteren Einschränkungen und gar dem harten Lockdown über Weihnachten, haben die Menschen nun ihre Probleme.
Tanja
Wie äußert sich das für Euch an den Corona-Hotlines?
Frau E.
Ganz einfach durch die Art und Weise wie die Menschen mit uns reden.
Im Frühjahr konntest Du spüren – an der Stimme und der Art zu reden – dass die meisten bemüht waren zu verstehen und sich an die Regeln zu halten.
Die meisten riefen an, um zu verstehen, was die Politik und die Medien veröffentlichten.
Im Spätsommer – als die Maßnahmen hier und da wieder anzogen – riefen viele an, um sich diese Verschärfungen noch einmal bestätigen zu lassen.
Der Spätherbst und gerade die Weihnachtszeit hat uns jetzt sehr viele aufgebrachte, frustrierte, verärgerte und nicht mehr „folgsam“ sondern eher rebellierende Menschen am Telefon beschert.
Wir werden so oft auf schlimme und beleidigende Art und Weise angegriffen und angeschrien, das ist schon oft erschreckend.
Tanja
Warum schreien Euch die Leute an? Ihr macht doch Euren Job genauso wie im Frühjahr 2020?
Frau E.
Das ist die geänderte Stimmung bei sehr vielen Menschen.
Es gibt immer noch die, die sich an alle Regeln halten und bemüht sind alles richtig und gut zu machen.
Dann gibt es aber auch die Gruppe von Anrufern, die der Meinung sind, dass all die Maßnahmen der Regierung die Zahlen nicht senken, weil es sich um einen „nicht politisch kontrollierbaren Virus“ handelt.
Hierbei handelt es sich nicht um Querdenker oder Anti-Corona Gruppen.
Es sind ganz normale Bürger, die sicherlich etwas mehr nachdenken, sich auch mehr informieren und somit einen anderen Blick auf die Thematik haben.
Das sind aber auch diejenigen, die uns am Telefon angreifen und zum Teil auch anschreien, wenn sie von uns nicht die Antwort bekommen, die sie gerne hätten.
Das sind dann für meine Kollegen und mich Momente, wo wir uns zwingen müssen, sehr professionell zu bleiben. Menschlich möchten wir oft anders reagieren.
Tanja
Rufen bei Euch auch Menschen an, die allein sind und nur jemanden zu reden brauchen?
Frau E.
Ja, das kommt hin und wieder vor. Diese Menschen sind mir oft die liebsten.
Tanja
Wie merkst Du denn, dass es sich um einen einsamen Menschen handelt?
Frau E.
Da muss ich gerade schmunzeln.
Es ist nicht jeder in der Lage am Telefon solche Menschen zu erkennen.
Vieler meiner KollegInnen machen den Job wie eine Maschine und lassen keinerlei Emotionen bei sich selbst zu, und spüren dann aber auch nichts bei den Anrufern.
Ich bin ein ganz anderer Typ. Auch wenn ich in einer Schicht über 200-mal die gleiche Begrüßung sage, ist meine Stimme immer freundlich und nett.
Das fällt sehr vielen Anrufern auf und sie sagen „Wow, es ist schön, so freundlich begrüßt zu werden!“.
Das ist meiner Meinung nach auch der Grund dafür, dass ich oft und meistens sehr nette und gute Gespräche mit den Anrufern habe.
Ein weiteres wichtiges Kriterium bei der Arbeit an der Corona-Hotline ist das Zuhören.
Tanja
Das Zuhören?
Frau E.
Ja, genau.
Anrufer sind oft etwas unsicher und brauchen einen Moment, bis sie ihre Fragen so stellen können, wie sie sie in ihrem Kopf haben.
In dieser Zeit „brabbeln“ sie ein wenig oder reden viel zu schnell, oder fallen in ihren ursprünglichen Dialekt zurück, etc.
Auch kannst Du schnell erkennen, ob ältere und verunsicherte Menschen am Telefon sind.
Diese sind oft absolut überfordert mit all den Regeln und Vorschriften und sehnen sich nach jemandem, der ihnen mit Ruhe und Geduld, die entsprechenden Sachverhalte erklärt.
Das sind dann auch meistens die einzigen Menschen, die sich am Ende des Gespräches bedanken.
Und sie geben einem – in all der Hektik und dem Druck – das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.
Tanja
Abschließend habe ich jetzt noch eine Frage, die sich vielen Menschen hin und wieder stellt, die aber bis jetzt noch niemand so richtig hat beantworten wollen oder können: „Glaubst Du, dass sich alle Menschen an ihre jeweiligen Quarantänen halten, sobald sie positiv getestet sind?“
Frau E.
Das war interessanterweise auch die Frage, die ich und einige KollegInnen letzte Woche diskutiert haben.
Wir sind der Meinung, dass ein Großteil der positiv Getesteten brav zu Hause bleibt und sich an die Richtlinien hält.
Aus Erfahrung – den Anrufen, die wir erhalten – wissen wir aber auch, dass es Menschen gibt, die die Quarantäne und damit verbundenen Regeln nicht ernst nehmen oder befolgen.
Tanja
Kannst Du uns ein paar allgemeine Beispiele nennen?
Frau E.
Gerne.
Fangen wir mit einem Fall an, der mich richtig wütend gemacht hat:
- Es ruft ein alleinerziehender Vater einer 9-jährigen Tochter an und erklärt mir, dass es gestern (Samstag) Kontakt mit seinem Arbeitskollegen hatte, der jetzt ein positives Testergebnis erhalten hat, sich aber bereits am Donnerstag wegen leichten Symptomen einem PCR Test unterzogen hatte. Dieser Mann hat KEINEM von seinem PCR-Test erzählt, in knapp 3 Tagen – bis zu seinem Ergebnis – bestimmt Kontakt zu rund 100 Leuten gehabt. Durch diese Ignoranz hat er die Gesundheit von zahllosen Menschen riskiert, die sich womöglich verantwortungsbewusst und sicher verhalten.
- Eine ganze Familie (6 Personen) ist in Quarantäne. Der 17-jährige Sohn ruft an und sagt, dass die Familie noch 6 Tage Quarantäne hat, seine 20-jährige Schwester aber nicht zu Hause bleiben will, sondern sich mit ihren Freundinnen treffen will und sie wollen zusammen shoppen gehen.
- Eine Frau testet seit 4 Wochen, Woche für Woche wieder positiv. Sie ist erbost. Unterstellt falsche Testungen. Dann beginnt sie mit ihrem CT-Wert, nachdem sie wieder gesund sei und arbeiten gehen könne. Da sie nur schreit und wütend ist, ist es für mich ganz schwer, mir überhaupt Gehör zu verschaffen. Als ich ihr sage, dass sie eine behördlich angeordnete Quarantäne nicht eigenmächtig beenden kann, nur weil sie der Meinung ist, dass ihr CT-Wert dies aussagt, versucht sie mit mir lauthals über ihren CT-Wert zu diskutieren.
Das sind jetzt nur 3 kleine und doch so große Beispiele. Leider muss man sagen, dass die Kommunikation in fast allen Bereichen oft sehr zu wünschen übrig lässt. Wenn sie dann doch funktioniert, gibt es die uneinsichtigen und wütenden Menschen, denen fast alles egal ist, wenn es nicht nach ihrem Kopf geht.
Tanja
Wir danken Euch allen für Eure tolle Arbeit, die ihr tagtäglich verrichtet. Auch ihr solltet bei den „System relevanten“ Tätigkeiten und Berufen genannt werden, denn ihr helft, informiert, unterstützt … ohne das Euch die Öffentlichkeit wirklich wahrnimmt.
Danke für das Interview.
Auch wenn es nicht alle Bereiche Eurer Tätigkeit beleuchten kann, so hat es einige Einblicke und vielleicht auch Anregungen für die Zukunft gegeben.